Rosa Listen-einen der hässlichsten Namen, den unsere Geschichte kennt
- pantisano
- 25. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Aug.
Es ist ein dunkles Echo der Geschichte — und wir hören es wieder. Unser derzeitiger Bundesinnenminister Alexander Dobrindt, der als Vertreter einer rechtskonservativen Politik im Kabinett Merz sitzt, treibt voran, was auf dem Papier harmlos klingt: Menschen, die vom Selbstbestimmungsgesetz Gebrauch machen und ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern, sollen künftig in besonderen Listen und Datenbanken erfasst werden. Ein schlichter Verwaltungsakt? Nein. Das ist ein Anschlag auf unsere Freiheit. Denn was hier geplant ist, trägt einen der hässlichsten Namen, den unsere Geschichte kennt: Rosa Listen.
Diese Rosa Listen, eingeführt noch im Kaiserreich, perfide perfektioniert unter den Nationalsozialisten, bedeuteten für hunderttausende queere Menschen Verfolgung, Entrechtung und Tod. Sie waren keine Metaphern, sondern reale Karteikästen in Polizeistellen. Männer, die mit Männern Sex hatten oder einander liebten, wurden systematisch erfasst und überwacht. Diese Listen sorgten dafür, dass Nachbarn zu Denunzianten wurden, dass Menschen abgeholt und deportiert wurden. Und dass der Staat wusste, wo sie wohnten, wie sie hießen, wann sie geboren wurden — weil der Staat sie niemals für gleichwertig hielt.
Dass ausgerechnet jetzt, in einer Zeit globaler queerfeindlicher Verschärfungen, ein deutscher Bundesinnenminister die Idee solcher Listen zurückholt, ist kein Zufall. Es ist Strategie. Ein politischer Testballon: Wie weit können wir das Sagbare, das Machbare verschieben? Wie viel Kontrolle lässt sich zurückholen, wenn man das Ganze in das Gewand „staatlicher Sicherheit“ hüllt? Denn eins ist klar: Es geht hier nicht um Kriminalitätsbekämpfung. Lassen Sie sich nicht täuschen! Es geht um die Rückeroberung von Deutungshoheit über Körper, Identitäten und Lebensformen, die nicht dem traditionellen Bild von Mann oder Frau, so wie bei der Geburt zugewiesen, entsprechen.
Der Vorwand ist durchschaubar: Was geschieht, wenn ein Straftäter seinen Geschlechtseintrag ändert und untertaucht? Was, wenn Thomas zur Michaela wird?
Lassen Sie mich hier eine fiktive Figur bemühen, die ich „Oma Erna“ nenne – eine liebevolle, konservative, gutmeinende Rentnerin, die in der Zeitung liest, dass jemand „sich einfach so umbenennen“ kann. Oma Erna meint es nicht böse, aber sie sorgt sich – um Ordnung, um Sicherheit. Sie steht für viele, die von den komplexen Realitäten transidenter Menschen weit entfernt sind. Ihre harmlos wirkenden Fragen werden jedoch von Politikern wie Dobrindt zur Legitimation eines gefährlichen Kontrollsystems instrumentalisiert.
Die Wahrheit, die Dobrindt allen Oma Ernas verschweigt: Schon heute können Sicherheitsbehörden bei begründetem Verdacht auf frühere Vornamen und Geschlechtseintrag zugreifen. Niemand verschwindet aus dem System, nur weil er oder sie den Vornamen und Geschlechtseintrag ändert. Diese Zugriffsmöglichkeiten bestehen – aber sie funktionieren individuell, nicht pauschal. Und genau das ist der Unterschied zwischen einem freiheitlichen Rechtsstaat und einem Staat, der Listen anlegt, bevor überhaupt ein Verdacht besteht.

Ein Blick ins Ausland entlarvt die Absurdität des geplanten deutschen Sonderwegs: In Schweden, Belgien, Island, Kanada oder Argentinien existieren seit mittlerweile vielen Jahren fortschrittliche Selbstbestimmungsgesetze. Dort ist die Änderung des Geschlechtseintrags ein Menschenrecht, keine Gefahrenmeldung. Es gibt keine zentralen polizeilichen Datenbanken für trans Personen. Die Ermittlungsarbeit funktioniert trotzdem – oder gerade deshalb.
Und lassen Sie mich mit einem Mythos aufräumen: Kein Land berichtet davon, dass Kriminelle massenhaft durch Änderungen des Geschlechtseintrags verschwinden. Stattdessen berichten Betroffene, dass sie sich endlich sicherer fühlen, dass Diskriminierung abnimmt, dass Würde und Schutz Hand in Hand gehen.
Und während diese Länder fortschreiten, fällt Deutschland zurück. In den USA werden trans Menschen inzwischen sogar wieder aus den Gesundheitssystemen entfernt, aus Jobs gefeuert, aus der Öffentlichkeit gelöscht. Queerfeindliche Gesetze schießen wie Pilze aus republikanischen Bundesstaaten. In Ungarn und Russland werden queere Organisationen kriminalisiert. Und in Deutschland? Werden Regenbogenfahnen einkassiert und verboten, wird genderneutrale Sprache verhindert, werden Listen diskutiert. Wieder Listen. Als wäre nie was gewesen.
Und weil unsere queere Community nicht immun gegen diese dobrintschen Angstnarrative ist, müssen wir vielleicht auch innerhalb unserer eigenen Reihen unbequeme Wahrheiten aussprechen – an jene, die wegsehen, wenn es um trans Menschen geht, und an diejenigen, die trans Sichtbarkeit als „Mode“ oder gar „Gefahr für Frauenrechte“ abtun. Wer meint, sich durch Abgrenzung schützen zu können, hat aus der Geschichte nichts gelernt. Freiheit ist kein Privileg, das man aufteilen kann – und wer sie anderen verweigert, steht gefährlich nah bei denen, die uns alle ausgrenzen wollen.
Sie sind nicht „neutral“, wenn Sie sich raushalten. Wer Transfeindlichkeit duldet, weil sie ihn selbst nicht trifft, macht sich zum Komplizen jener, die auch gegen Schwule, Lesben, Bi- und Intermenschen hetzen. Die Rechtsextremen unterscheiden uns nicht – für sie sind wir alle gleich: verdächtig, bedrohlich, zu viel.
Und deshalb ist jetzt der Moment, in dem auch alle queeren Menschen Farbe bekennen müssen. Wer trans Menschen den Rücken kehrt, kehrt der eigenen Befreiung den Rücken. Wer glaubt, das eigene Coming-out sei genug für ein Leben in Würde, irrt.
Die Geschichte prüft uns gerade. Und wer heute noch glaubt, sich durch Abgrenzung retten zu können, wird morgen vielleicht als Letzter abgeholt – aber abgeholt wird er trotzdem.
Wie kommt man also im Jahr 2025 auf die Idee, so etwas wie Rosa Listen erneut einzuführen? Die Antwort ist bitter: Weil es politisch kalkuliert ist. Weil rechte und rechtskonservative Kräfte weltweit begriffen haben, dass queere Menschen eine bequeme Projektionsfläche bieten. Eine kleine, verletzliche Minderheit, die man mit Sprache stigmatisieren, mit Gesetzgebung kontrollieren und mit Systemen verdrängen kann. Die angeblich den Staat, die Kinder, die Wahrheit bedroht – und deshalb überwacht, verhindert werden muss.
Aber hier liegt die Gefahr: Wer Listen anlegt, beginnt nicht mit Schutz. Er beginnt mit Zweifel. Zweifel daran, ob Menschen sein dürfen, wie sie sind. Wer so zweifelt, dreht Freiheit rückwärts.
Wenn wir Menschen systematisch erfassen, nur weil sie sich befreit haben, verwandeln wir Selbstbestimmung in einen Risikoindex. Wir machen aus staatlicher Fürsorge staatliches Misstrauen. Und dann ist es nur ein kleiner Schritt von der Datenbank zur staatlichen Verfolgung.
Queere Menschen haben lange dafür gekämpft, damit der Staat uns nicht mehr kontrolliert, sondern gleichberechtigt schützt. Das Selbstbestimmungsgesetz haben wir nicht erbettelt, sondern erstritten – gegen Widerstände, gegen Hass, gegen Diskriminierung. Es ist das Mindeste, was uns zusteht. Und es ist nicht verhandelbar.
Vielleicht sitzt irgendwann jemand in einer Behörde, blättert in einer Liste, sieht einen Namen und verfasst einen Eintrag, setzt ein Sternchen neben dem Geschlechtseintrag. Er wird sich sagen: „Nur zur Sicherheit.“ In diesem Moment wird jedoch etwas zerbrechen: das leise, unsichtbare Band, das Freiheit bedeutet.
Hier geht es nicht um Formulare, nicht um Polizeidaten oder Verwaltungszugriffe. Es geht um Vertrauen – das Vertrauen, das ein Staat seinen Bürger*innen entgegenbringt, besonders denen, die jahrzehntelang nicht dazugehören durften.
Ob wir Freiheit nicht nur gewähren, sondern sie selbstverständlich verteidigen!
Wenn dieser Text nur eine Person aufschrecken lässt, ist er keine bloße Mahnung mehr – sondern der erste Schritt zurück zur Menschlichkeit. Denn wer wir sind, zeigt sich jetzt: Haben wir den Mut, uns schützend vor jene zu stellen, die wieder als Erste auf Listen geschrieben werden sollen?



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