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DIE ANGST VOR DEM STERNCHEN*

Aktualisiert: 7. Aug.

Es gibt Debatten in Deutschland, die wirken auf den ersten Blick klein – und sagen dann doch alles über den Zustand einer Gesellschaft. Die Diskussion über genderinklusive Sprache ist so eine. Ein Sternchen, ein Doppelpunkt, ein Bindestrich – und auf einmal wird aus einem Zeichen ein Kulturkampf. Es geht nicht mehr nur um Grammatik oder Stilfragen, sondern um Weltbilder. Um Macht. Um Sichtbarkeit.

Und vor allem: um Angst. Die Angst jener, die es gewohnt waren, automatisch mitgemeint zu sein – weil sie jahrzehntelang die Norm waren: Männer.

Ich finde: Jeder Mensch soll sprechen, wie es gefällt. Sprache ist kein Gesetzbuch. Und Sprache ist niemals neutral. Sie bildet nicht nur ab, sie schafft Wirklichkeit. Wer heute das Gendern verbietet, entscheidet sich ganz bewusst gegen Menschen, die bislang in unserer Sprache keinen Platz hatten – oder nur am Rand. Gegen queere Menschen. Gegen trans und nicht-binäre Menschen. Und gegen Frauen. Frauen, die über Jahrhunderte im generischen Maskulinum eines verstaubten Patriarchats untergegangen sind – als „Mitgemeinte“, aber eben nicht Benannte. Als stille Reserve im Satzgefüge der männlich dominierten Welt.

Es geht auch um die Mädchen, die heute groß werden. Um die, die sich vorstellen sollen, Feuerwehrfrau zu werden, Pilotin, Ärztin, Informatikerin. Sprache öffnet innere Räume. Wer Begriffe hat, hat auch Bilder. Wer benannt wird, kann sich selbst neu denken. Die Benennung weiblicher, queerer, vielfältiger Realitäten ist keine Zwangsmaßnahme – sie ist ein Versprechen. Sie sagt: Du bist gemeint. Du darfst existieren. Du darfst träumen. Und du darfst dir die Welt anders vorstellen als sie war.

Warum nennen wir Frauen eigentlich immer noch „Damen“ – als wären sie bei Hofe, im Kostüm mit Handschuhen und Knigge im Gepäck? Und Männer „Herren“ – als müssten sie sich benehmen wie auf einem alten Schachbrett? Sprache formt Realität.

Wer auf alten Begriffen beharrt, verteidigt oft auch die alten Verhältnisse, in denen sie entstanden sind.

Wolfram Weimer, der neue Kulturstaatsminister der Bundesregierung, hat in einer Hausmitteilung das Gendern in offiziellen Schreiben seiner Behörde untersagt. Das allein wäre schon bemerkenswert genug. Aber wie er es begründet, zeigt, wie weit die Frontlinien inzwischen verschoben wurden. Man wolle die Schönheit der Sprache bewahren, heißt es da. Die Sprachkultur der „Dichter und Denker“. Als wäre Inklusion ein Makel, als wären Sternchen mutwillige Graffiti auf dem Denkmal deutscher Literaturgeschichte.


Zitat Alfonso Pantisano, Gendern

Noch absurder wird es, wenn Weimer in einem Atemzug erklärt, er lehne jede „bevormundende Spracherziehung“ ab – während genau das passiert: per Verfügung wird festgelegt, wie Sprache zu sein hat. Der Staat, der nicht vorschreiben will, wie Menschen sprechen sollen, schreibt seinen Mitarbeitenden nun genau das vor.

Es ist diese Art von Doppelmoral, die viele mittlerweile durchschauen. Und die vor allem eines offenbart: Es geht nicht um Sprache, es geht um Kontrolle. Ja, es geht um Macht.

Und es geht um Symbolik. Sprache ist für autoritäre Bewegungen ein perfektes Feld, um Stärke zu demonstrieren. Wenn Bildungsministerien, Behörden und Landesregierungen das Gendern verbieten – häufig gegen den Rat der eigenen Fachleute oder sogar gegen Gerichtsurteile – dann ist das kein Zufall. Es ist ein politisches Signal. Und es ist ein Zugeständnis an jene Kräfte, die unsere Gesellschaft zurückdrehen wollen. Die sich an der Vorstellung berauschen, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Dass Vielfalt eine Bedrohung ist. Dass Queersein ein Trend sei, der wieder verschwinden möge.

Dabei ist es längst Alltag: Kinder und Jugendliche wachsen heute mit genderinklusiver Sprache auf, wie mit WLAN oder TikTok. Für sie ist es selbstverständlich, „Lehrer*innen“ zu sagen, „Schüler:innen“, „Mitarbeitende“. Nicht, weil man es ihnen eingetrichtert hätte – sondern weil es logisch ist, weil es gerecht ist, weil es ein Angebot ist, sich selbst wiederzufinden. Wer das heute zurückdrehen will, schadet nicht nur diesen jungen Menschen. Die Botschaft an sie lautet: Eure Realität zählt nicht. Eure Sprache ist falsch. Und eure Identität darf nicht sichtbar sein.

Diese Angst vor dem Sternchen ist in Wahrheit die Angst vor Veränderung. Vor einer Welt, in der nicht mehr nur die sprechen, die immer gesprochen haben. In der nicht mehr nur Männer mitreden, die sich selbst für das Maß aller Dinge halten. Das Gendersternchen ist nicht das Problem. Es ist ein Symbol für etwas, das viel tiefer geht: Dass sich die Gesellschaft wandelt. Dass andere Menschen dazukommen. Dass andere Stimmen laut werden. Und dass sich Macht verschiebt.

Und ja, das macht manchen Angst. Aber ist das ein Grund, diese Veränderung aufzuhalten? Ist es nicht unsere Aufgabe – gerade als Demokrat*innen – zu sagen: Vielfalt ist keine Gefahr, sondern eine Erweiterung? Wer behauptet, gendergerechte Sprache spalte die Gesellschaft, hat nicht verstanden, was Gesellschaft bedeutet. Gesellschaft lebt nicht von Einigkeit, sondern von der Zumutung der Verschiedenheit. Sie ist ein lebendiger, konfliktreicher, manchmal unbequemer Raum, in dem Platz sein muss – für alle. Auch für diejenigen, die noch lernen müssen, dass Sichtbarkeit kein Angriff ist. Und dass es kein Verlust bedeutet, wenn andere Menschen endlich auch vorkommen.

Übrigens: Die Behauptung, die Mehrheit der Deutschen lehne das Gendern ab, ist nicht nur methodisch fragwürdig – sie ist politisch missbraucht. Selbst wenn es so wäre: Seit wann bestimmen Umfragen über Rechte? Über Respekt? Über Sprache, die einschließt statt auszugrenzen? Demokratie bedeutet nicht, dass die Mehrheit immer recht hat. Sondern dass Minderheiten Schutz verdienen. Auch sprachlich.

Wer also meint, genderinklusive Sprache verbieten zu müssen, soll das tun. Aber es soll beim Namen genannt werden: Es ist ein politischer Eingriff in die Freiheit. Es ist eine Entscheidung gegen Sichtbarkeit, gegen Teilhabe, gegen Gerechtigkeit. Und es ist eine Entscheidung, die viele von uns nicht hinnehmen werden.

Denn Sprache verändert sich. Immer schon. Und zum Glück lässt sie sich nicht dauerhaft unterdrücken. Auch nicht durch Verordnungen, Hausmitteilungen oder kulturpessimistische Leitartikel. Das Sternchen bleibt. Weil die Menschen bleiben, die es brauchen. Und weil wir nicht in einer Welt leben wollen, in der nur die Lautesten zählen – sondern in einer, in der jede Stimme zählt.

 
 
 

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